Es heißt, die Einsteinsche Relativitätstheorie wird nur von einer Handvoll Menschen auf der Welt wirklich vollumfänglich verstanden. Mal ehrlich, wer kann sich auch gekrümmte Zeit vorstellen. Diese elastische Ebene, die von einer Masse eingedellt wird. Also praktisch ich auf einem Trampolin. Die Raumzeitkrümmung ist dann davon abhängig, wie lange die letzte Diät her ist. Das Thema kommt glücklicherweise erst kurz vor Abi-Schluss, wenn sich meine Tochter längst für die sprachlich-künstlerischen Fächer entschieden haben wird. Und der naturwissenschaftlich begeisterte Junior wird schon nicht so schnell ins schwarze Loch fallen.
Aber eigentlich wollte ich das Relative relativ zum Absoluten betrachten. Wie sehen wir Dinge und vor allem, was macht das mit uns. Gerade haben wir drei Stunden den Untergang der Titanic angeschaut. Nicht ganz, denn dem Junior haben wir dann doch nach der Hälfte empfohlen, mit dem Rest noch ein paar Jahre zu warten. Fand er auch gut. Denn absolut betrachtet und emotional verpackt ist der Tod von 1.500 Menschen grauenvoll. Absolut ist jeder Flugzeugabsturz mit hunderten Opfern ein Schock. Relativ ist das Flugzeug das sicherste Verkehrsmittel der Welt. Jeden Tag setzen wir uns ins Auto. Wohlwissend, dass auf Deutschlands Straßen jährlich 3.000 Menschen sterben. Den Preis für unsere Mobilität nehmen wir fraglos in Kauf, denn die Wahrscheinlichkeit, zu dieser Zahl zu gehören, ist relativ gering. Das ist nicht besonders rational. Aber so sind wir nun mal.
Mit absoluten Angaben kann man beeindrucken. „Zahl der Geimpften wieder gestiegen“, meldet unser Tagesblatt. Eine befremdliche Information, denn wie in aller Welt soll die Zahl sinken? Stagnieren geht auch nicht, denn ein paar Impfungen pro Tag werden wir doch wohl fraglos auch ohne Befähigung zum Betrieb einer einfachen Terminverwaltungssoftware schaffen. Es steigt naturgemäß natürlich auch die absolute Zahl der an und mit Corona Verstorbenen jeden Tag. Die Zahl ist gewaltig, ohne Frage. Inwiefern sie sich multikausal begründet,  ist aus jetziger Sicht kaum einschätzbar. Und hinter jedem Schicksal verbergen sich persönliche Tragödien, die wir gern vermieden hätten. Aber auch dann haben wir einen Preis zu zahlen. So etwas in Relation zu setzen, gilt gerade als absolut verpönt. Geradezu aluhutverdächtig. Und dabei tun wir das normalerweise ständig. Wer fragt sich, bevor er sich einer Operation unterzieht, ob er zu den jährlich 15.000 bis 20.000 Menschen gehören wird, die einem vermeidbaren Krankenhauskeim zum Opfer fallen. Wenn wir mehr über Krankenhaushygiene oder prophylaktische Antibiotikagabe in der Massentierhaltung diskutieren würden, zum Beispiel. Wer denkt darüber nach, dass laut einer Studie jährlich ca. 5.000 Menschen in Deutschland durch Einnahme von Aspirin sterben. Offenbar interessiert auch weniger stark, dass es bundesweit jährlich 74.000 Tote durch übermäßigen Alkohol- und Tabakkonsum zu beklagen gibt. Lebensmittel-Ampeln werden blockiert. Dinge, bei denen wir leicht aktiv werden könnten, wir aber wohl kaum regelmäßig die dann entgehenden Gewinne der Wirtschaft kompensieren könnten. Wie oft müssten wir eigentlich in Relation darüber sprechen und berichten, dass weltweit alle 10 Sekunden ein Kind  vermeidbar an Hunger stirbt – über 3 Millionen im Jahr? Furchtbar oft sind wir erbärmlich scheinheilig.
Der Tod ist absolut. Es wird jeden von uns treffen. Ihn um jeden Preis vermeiden, ist nicht drin. Genauso wenig, zu bestimmen, wann er kommt. Alte und Schwache bestmöglich zu schützen, ist vornehmliche Aufgabe der Gesellschaft. Dann sollten wir es in den Pflegeheimen auch tun und es nicht an Personalschüssel und Bürokratie scheitern lassen. Von einem geliebten Menschen Abschied zu nehmen, gehört zu den schwersten Dingen in unserem Leben. Auch für uns jährt sich heute so ein Abschied. Mit Kindern darüber zu sprechen, wo sie das Wichtigste finden, wenn Mama und Papa nicht mehr nach Hause kommen sollten, fühlt sich ganz merkwürdig an. Ob das morgen oder in 50 Jahren ist, müssen wir dem Leben überlassen. Der Tod ist ein Teil davon.